Warum der unsichtbare Wohnraum für die Wohnwende entscheidend ist
03.11.2025
Anfang November fand in Aachen die Podiumsdiskussion „Neues Wohnen in alten Häusern“ statt. Veranstaltet von der Stadt Aachen, der RWTH Aachen University und altbau plus e.V., brachte der Abend Akteurinnen und Akteure aus Stadtentwicklung, Wissenschaft und Praxis zusammen. Mit dabei waren unter anderem ZukunftsRaum, inGemeinschaft und der Wohnwende-Vordenker Daniel Fuhrhop. Über hundert Teilnehmende diskutierten im voll besetzten Kinosaal über neue Wege aus der Wohnraumkrise.
Im Zentrum der Diskussion stand ein Thema, das bislang selten im Fokus wohnungspolitischer Debatten steht: der unsichtbare Wohnraum.
Was bedeutet „unsichtbarer Wohnraum“?
Als unsichtbarer Wohnraum gelten Wohnflächen, die faktisch vorhanden, aber nicht oder nur teilweise genutzt sind. Dazu zählen zum Beispiel:
große Wohnungen mit nur einer oder zwei Personen
ungenutzte Zimmer, etwa ehemalige Kinderzimmer
Einfamilienhäuser, die für die aktuelle Lebensphase zu groß geworden sind
Dieser Wohnraum erscheint in keiner Neubau-Statistik. Gleichzeitig bietet er enormes Potenzial, um Wohnraummangel zu lindern, ohne neue Flächen zu versiegeln oder zusätzliche CO₂-Emissionen zu verursachen.
Wohnraumpotenzial in Aachen: Zahlen, die Perspektiven verändern
Wie relevant unsichtbarer Wohnraum konkret ist, zeigen Zahlen aus Aachen:
Über 13.000 Ein-Personen-Haushalte leben in Wohnungen mit mehr als 80 m²
Rund 11.500 Zwei-Personen-Haushalte bewohnen Wohnungen mit über 100 m²
Daraus ergibt sich ein theoretisches Potenzial für Wohnraum für rund 40.000 Menschen – allein durch eine andere Nutzung des vorhandenen Bestands und ohne Neubau.
Diese Zahlen verdeutlichen: Die Wohnungsfrage ist nicht nur eine Frage des Bauens, sondern vor allem eine Frage der Wohnflächennutzung.
Warum Neubau allein nicht ausreicht
Neubau bleibt wichtig, stößt jedoch zunehmend an ökologische und soziale Grenzen. Er benötigt Zeit, Fläche und Ressourcen und steht im Spannungsfeld von Klimazielen und steigenden Baukosten. Gleichzeitig wächst die durchschnittliche Wohnfläche pro Person seit Jahrzehnten – besonders stark bei älteren Haushalten.
Das Ergebnis ist ein strukturelles Ungleichgewicht: Während viele Menschen dringend Wohnraum suchen, leben andere in Wohnungen, die größer sind als benötigt.
Der unsichtbare Wohnraum macht diese Schieflage sichtbar – ohne individuelle Wohnentscheidungen zu bewerten.
Veränderung braucht Vertauen
Ein zentrales Argument des Abends: Unsichtbarer Wohnraum ist kein Vorwurf, sondern ein Ansatzpunkt. Viele Menschen verbleiben aus guten Gründen in ihren Wohnungen – aus emotionaler Bindung, Unsicherheit oder mangelnder Unterstützung bei Veränderungsprozessen.
Damit Wohnraum geteilt oder neu genutzt werden kann, braucht es:
vertrauensvolle Beratung
soziale und organisatorische Begleitung
Modelle für gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Wohnen
Erst durch solche Strukturen wird aus theoretischem Potenzial tatsächlich nutzbarer Wohnraum.
Wohnwende heißt: Wohnen sozial und nachhaltig neu denken
Die Diskussion in Aachen machte deutlich, dass die Wohnwende nicht im Betonmischer beginnt. Sie entsteht dort, wo vorhandener Wohnraum neu gedacht wird – sozial, nachhaltig und gemeinsam.
Unsichtbarer Wohnraum verbindet zentrale Zukunftsfragen:
Klimaschutz durch weniger Neubau
Entlastung angespannter Wohnungsmärkte
soziale Teilhabe und weniger Einsamkeit
Damit wird klar: Nachhaltiges Wohnen beginnt im Bestand – und bei der Bereitschaft, Räume und Verantwortung neu zu teilen.
Fazit: Der unsichtbare Wohnraum als Schlüssel zur Wohnzukunft
Der Abend in Aachen zeigte eindrücklich, wie groß das Potenzial im bestehenden Wohnraum ist. Unsichtbarer Wohnraum bietet die Chance, Wohnraummangel, Klimaschutz und soziale Fragen gemeinsam anzugehen.
Die Wohnwende entsteht dabei nicht durch mehr Quadratmeter, sondern durch neue Perspektiven auf das, was bereits da ist – und durch Strukturen, die Menschen dabei unterstützen, Wohnraum sinnvoll und gemeinschaftlich zu nutzen.
Youtube Video zu Daniel Furhops Vortrag:



